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"Wiedergefunden" wurde jetzt die Madonna der Dörnschlade in Wenden. Bekanntlich wurde das Gnadenbild in Wenden, eher Allgemein- als Kirchengut, in der Nacht vom 27. auf den 28. Oktober 1973 entwendet. Aber die Herren Diebe, ob Liebhaber, Sammler oder Geschäftemacher, sind, wie sich jetzt herausstellt, auch betrogen. Denn die geraubte Statue, auf ein Alter von 300 Jahren und einen Wert von 3.000 DM geschätzt, war nachweislich nur die volkstümlich abgewandelte Kopie eines Bildwerks, das jetzt unter Holz und Gerümpel im Keller des Wendener Pfarrhauses entdeckt wurde.

Eine Vergleichung der aufgefundenen mit der entwendeten Madonna fördert überraschende Übereinstimmungen zutage. Die Figuren sind in Größe, Ausdruck, Haltung und Kleidung vollkommen identisch; das Haar ist in Modellierung, Linienführung und Anordnung der Locken völlig gleich. Die Ornamentierung des schalartigen Mantelsaums vorn zeigt restlose Übereinstimmung. Auch Kinn, Mund und Gesichtsausdruck sind gleichartig gestaltet. Nur die Hand mit dem Zepter und das Kind fehlen dem wiederentdeckten Kunstwerk, das von den Sachverständigen als die wahre, die ursprüngliche Madonna von der Dörnschlade angesehen wird.

Die "neue" Madonna ist ausdrucks-, andachts- und hoheitsvoller als ihre geraubte Vorgängerin; Stirn, Augen und Mund vereinigen sich zu einem Ausdruck gebetsentrückter Weltabgezogenheit oder in Meditation versunkener Majestät. Sie ist insgesamt künstlerischer.

Unbekannt ist, zu welcher Zeit und aus welchen Gründen man das ursprüngliche (jetzt wiederentdeckte) Gnadenbild durch eine alles in allem ungekonnte Nachbildung ersetzte. Insbesondere das der geraubten Madonna beigegebene Kind beweist den unkünstlerischen und laienhaften Charakter des Ganzen. Daß es "fromme" Eingriffe und Veränderungen gegeben hat, zeigt schon das der alten Madonna gestiftete Seidenkleid, daß auf ein privates Gelübde zurückgeht. Vorstellbar ist, daß ein geschickter Holzschnitzer, ob Bauer oder Eremit, eine Kopie angefertigt hatte, die man, als das ursprüngliche Gnadenbild schadhaft geworden war, in die Kapelle stellte und dort beließ.